Altes Verbot in neuem Zeitgeist



Der Club ist sein Leben. Lutz Schelhorn ist Präsident des ältesten deutschen Charters, wie die Hells Angels ihre lokalen Clubs nennen. Er war so aufgeregt, als in diesem Jahr auch sein Sohn nach intensiver Probezeit in den Charter aufgenommen wurde, und nun so wie der Vater das Patch trägt, jenen Totenkopf mit den Engelsschwingen, den Hells Angels in Amerika seit sechs Jahrzehnten hinten auf der Weste tragen. "Das Patch ist Teil meiner Identität", sagt der ergraute Rocker. "Deshalb kann ich es nicht ablegen." Er trägt es seit 33 Jahren.
 
Das darf er seit Dienstag, nachdem zwei Polizeibeamte anklopften, nicht mehr. Sie teilten ihm mit, dass nun auch der Innenminister des Landes Baden-Württemberg das Tragen dieses Symbols verboten habe. Und nicht nur auf der Weste. Auch als Tätowierung auf der Haut, als Anstecknadel oder Ohrring. Auch von der Außenwand ihres Clubhauses in der Stuttgarter Altstadt werden die Rocker den "Dead Head" abnehmen müssen. Dann hängt dort nur noch ein Galgen, eine Anspielung auf die Geschichte des von ihnen historisch präzise restaurierten Gebäudes. Es war einmal das Haus des Henkers. In Stuttgart wurde schon lange niemand mehr gehenkt. Aber jetzt haben die Rocker das Gefühl, dass er als Symbol irgendwie passt.

Drei Jahrzehnte Toleranz

Der Charter der Stuttgarter Hells Angels feierte vor drei Jahren sein 30-jähriges Jubiläum. Es kamen mehrere tausend Rocker aus aller Welt. Ein großer Polizeiaufmarsch, wie er anderorts dem Publikum geboten wird, gab es in Stuttgart nicht. Dafür viele Motorräder. Der für die Rocker zuständige Leiter des Dezernats für Jugendkriminalität, Erster Kriminalhauptkommissar Willi Pietsch, ist mit den Rockern alt geworden. Und er wusste, dass er sich auf seine Hells Angels verlassen konnte, und dass es keinen großen Ärger geben würde. Er behielt Recht. Der erfahrene Polizist hielt nie viel von der Aufgeregtheit, und auch nichts vom Verbot der Abzeichen. Dieses Jahr ging er in Pension.

Rotlicht ohne Rocker

Lutz Schelhorn hat sich nichts vorzuwerfen. Auch Polizei und Staatsanwaltschaft werfen ihm nichts vor. Und auch seinen fast 30 Club-Brüdern nicht. Tatsächlich, erinnert sich Schelhorn, waren Ende der 90er Jahre nacheinander zwei Rocker aus dem Club wegen schwerer Körperverletzung verurteilt worden. Beide seien aber nicht mehr dabei. Davor sei zehn Jahre nichts passiert, und auch danach nicht. Nicht einer von den Stuttgarter Hells Angels verdient sein Geld im Rotlichtgewerbe, was bei manchem im Milieu zu Enttäuschungen führte, weil er heimlich gehofft hatte, die Rocker würden nach Einzug in das Henkerhaus in der Altstadt dort gegen bulgarische Zuhälter vorgehen. Aber die Hells Angels verweigerten diesen Dienst am Bürger. "Was", fragte Lutz Schelhorn damals, "hän wir damit zu schaffe?"
 
Hells Angels 
 
Hells AngelsWie sich die Rocker vom Verbrecherimage lösen wollen
Tatsächlich sitzt der Rocker mit anderen Bürgervertretern, Sozialarbeitern, Politikern, Gewerbetreibenden und Polizisten am runden Tisch, wenn es darum geht, das sogenannte "Leonhardsviertel" wieder freundlicher zu gestalten.

Missetat aus dem Archiv

Es gehe bei dem Verbot auch nicht um begangene Straftaten, erklärt der Sprecher des Innenministeriums, es gehe einzig um die jetzt mögliche Straftat des Tragens der Abzeichen des Clubs. Denn das, so hätte das Hamburger Oberverwaltungsgericht im April dieses Jahres entschieden, sei 1983 durch den Erlass des damaligen Bundesinnenministers Friedrich Zimmermann (CSU) verboten worden.
 
Das allerdings hatte 30 Jahre lang niemand bemerkt, weder Rocker, Politiker, Staatsanwälte noch Richter.
 
Grundlage des Verbots des Tragens der Abzeichen ist wiederum ein Gerichtsurteil von 1982. Damals wurden vier von 13 Mitgliedern des Hamburger Clubs der Hells Angels zu Haftstrafen verurteilt, unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, Förderung der Prostitution und räuberischer Erpressung: Sie hatten sich unter anderem von einem Wirt einer Szene-Kneipe Geld dafür zahlen lassen, dass sie dort nicht mehr als Gäste erschienen. Das nennt man Schutzgeld. Der ursprüngliche Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung wurde mangels Beweisen fallengelassen. "Kostspielige Farce", nannte damals die Prozessbeobachterin der Wochenzeitung "Die Zeit" das aufwendige Verfahren mit mauem Ergebnis. "Fast jeder Vorwurf, jede unterstellte ermittelte kriminelle Handlung verblasste zu Mutmaßung."
 
In einer Art Ersatzhandlung verbot Innenminister Zimmermann daraufhin einige Monate später den Hamburger Rockerclub nach dem Vereinsrecht, und damit dessen Mitgliedern auch das Zeigen der Club-Insignien. Der Club der Hells Angels in Stuttgart war davon nicht tangiert. Damals wurde den Stuttgarter Hells Angels von der Staatsanwaltschaft in Abstimmung mit dem Landespolizeipräsidium offiziell mitgeteilt, dass ihr Emblem "nicht unter die Verbotsverfügung des Bundesinnenministers vom 21. Oktober 1983 fällt". Und auch die vielen, später gegründeten lokalen Clubs der Hells Angels in Deutschland waren von dem Verbot nie berührt. Nur in Hamburg war das Tragen des Abzeichens nun verboten. Der Hamburger Club löste sich auf. Die Mitglieder leben nicht mehr in der Stadt.

Pose vor dem Michel

Um gerichtlich feststellen zu lassen, dass der heutige Hamburger Hells-Angels-Club mit dem Namen "Habour City" nichts mehr mit dem damals verbotenen Club zu tun habe, ließ sich im vergangenen Jahr einer der Rocker vor die berühmte Hamburger Michaeliskirche mit seiner Weste fotografieren und schickte das Bild der Polizei. Er hoffte, dass er das Patch mit der Bezeichnung "Habour City" künftig tragen dürfte. Auf dem Rücken der Rocker-Westen steht oben der Schriftzug: "Hells Angels". In der Mitte der Totenkopf mit den Flügeln. Und unten, groß und deutlich als sogenannter "Bottom Rocker", die genaue Bezeichnung des Clubs, in der Regel eine Ortbezeichnung. Denn jeder der lokalen Clubs ist autonom. An diesem Ensemble ist zu erkennen, wer zu welchem Club der Rocker gehört.
 
Das Amtsgericht entschied im Sinne des Rockers, das Hamburger Landgericht aber verbot nach dem Einspruch der Staatsanwaltschaft als nächst höhere Instanz das Tragen des Abzeichens. Ein anderes Hamburger Landgericht hatte aber fast zeitgleich in einem parallelen Verfahren bei einem anderen Mitglied des Clubs anders entschieden und das Tragen der Abzeichen erlaubt. So sprach nun das Oberlandesgericht Recht. Und es verkündete: Es sei keine Gesamtbetrachtung der Westen vorzunehmen, auf denen sich die Ortsangabe unterscheide, sondern jedes einzelne Element sei verboten. Das Urteil des ersten Landgerichts sei richtig, das des zweiten sei falsch.

Ein Geschenk für den Staatsanwalt

In diesem Urteil entdeckte Monate später ein Berliner Staatsanwalt den Hebel, alle Abzeichen der Hells Angels in allen deutschen Städten zu verbieten. In den folgenden Wochen nahm ein Staatsanwalt nach dem anderen, dann ein Landesinnenminister dem anderen den Ball auf. Club für Club, völlig unabhängig davon, ob jemand aus dem Club straffällig geworden war, erhielt nun Post, in der stand, dass den Mitgliedern das Tragen der Abzeichen verboten sei. In Nordrhein-Westfalen, wo man die Entscheidung über das Verbot noch immer den einzelnen Staatsanwaltschaften überlässt, bezog mancher das Urteil auch gleich noch mit auf die mit den Hells Angels konkurrierenden Bandidos, deren kleiner, runder Mexikaner auf der Weste dem Deadhead wirklich nicht sehr ähnlich ist. Denn auch einer der Clubs der Bandidos war schon einmal verboten worden.

Urteile zur freien Auswahl

Im traditionell eher liberalen Baden-Württemberg waren sich die Generalstaatsanwaltschaften Stuttgart und Karlsruhe darüber einig, dass man die Abzeichen nicht verbieten wolle. "Das ist eben nicht so einfach, weil es unterschiedliche Rechtsprechungen dazu gibt", erklärt Tomke Beddies, Sprecherin des Stuttgarter Generalstaatsanwalts gerade noch den "Stuttgarter Nachrichten".
Tatsächlich hatten zwei andere, dem Hamburger Oberlandesgericht gleichrangige Oberlandesgerichte anders entschieden als die Hamburger Richter. Eines in Niedersachsen, ein anderes in Bayern. So scheint es derzeit Ermessensache, welchem der Urteile man folgen möchte. Die Stuttgarter Generalstaatsanwaltschaft sah jedenfalls "keinen Anlass, die Staatsanwälte anzuweisen, in die eine oder andere Richtung zu ermitteln." Diese rechtliche Bewertung hatte der Staatsanwalt auch dem Landeskriminalamt mitgeteilt. Und die Rechnung ohne das Landespolizeipräsidium gemacht, das jetzt seine Beamten aussandte, um den Präsidenten der Baden-Württemberger Hells Angels Clubs mündlich mitzuteilen, dass das Tragen ihrer Abzeichen verboten sei. Da es aber nicht allein um Recht, sondern vor allem um Politik geht, entschied man die Frage im Innenministerium. Landesinnenminister Reinhold Gall selbst weilt zur Zeit im Urlaub. Der Sozialdemokrat hatte noch vor nicht allzu langer Zeit mit dem Rocker Lutz Schelhorn bei Sandra Maischberger in ihrer Talkshow gesessen, und keinen Grund gesehen, dessen Club zu verbieten. Eine schriftliche Mitteilung des Ministeriums an die Rocker war am Donnerstag noch nicht eingetroffen.
So reiht sich Baden-Württemberg nach Berlin, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein in die Falange der "Null-Toleranz"-Strategen ein. In Bayern, so sickerte bei der Polizei inzwischen durch, wolle man mit dem Verbot noch bis September warten.

Ein Abzeichen der Erinnerung

Wenn Lutz Schellhorn, von dem jeder, der ihn kennt, weiß, dass er Mitglied der Hells Angels ist, sein Patch trägt, wird er betraft werden. Sein Club aber ist durch diese Entscheidung des Innenministers nicht verboten. Ein solches Verbot würde sich rechtlich schwierig gestalten. Die Stuttgarter Hells Angels sind keine Räuberbande. Und das kann man auch von anderen Clubs nicht gerade sagen. Die meisten der Rocker sind, auch wenn die Tageszeitungen und Polizeigewerkschaften anderes melden, in erster Linie wilde Biker.
 
Lutz Schelhorn macht mit seinen Bildern Ausstellungen. Manchmal führt er Schulklassen zum alten Nordbahnhof, dorthin, wo nach 1941 Juden in Viehwaggons steigen mussten, zur Deportation in die Vernichtungslager. Er hat dort im Boden verätzte Fotos der Gleise auf Bilderwände gezogen. Die Ausstellung heißt "Chemie der Erinnerung".
 
Der Eingangsraum seines Studios ist seine eigene kleine Werkstatt, in der der Fotograf manchmal tagelang an der Harley Davidson schraubt. Er hat früher einmal die Meisterprüfung zum Zweiradmechaniker abgelegt. Auch von seinem Motorrad muss er jetzt noch 33 Jahren im Club den Deadhead entfernen. Neben dem Hakenkreuz ist dieser Deadhead nun wohl das bekannteste in Deutschland verbotene Symbol. Beide waren in ungefähr der gleichen Zeit zur Bekanntheit gelangt. Das eine mehr, das andere weniger.
 
Denn der Deadhead war das Zeichen einer amerikanischen Fliegerstaffel, die in Zweiten Weltkrieg gegen die Nazis kämpfte. "Was man damals von deutschen Polizisten und Staatsanwälten nicht sagen konnte", sagt Lutz Schelhorn. "Jedenfalls habe ich bis heute nicht viel davon gehört." Nach dem Krieg hatten die ersten Hells Angels das Zeichen für ihren Club übernommen, einige von ihnen kamen aus dieser Bomberstaffel der US-Air Force. Der Namenszug "Hells Angels" in dem rot-weißen Schriftzug ist jetzt auch verboten. Der Name selbst war der Titel eines Films von Howard Hughes über britische Piloten im ersten Weltkrieg. Er lief 1930.

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