Hells Angels Mord Fall bleibt ungeklärt


Drei Jahre nach dem Verschwinden des Hells Angels Rocker wirft der Fall mehr Fragen als Antworten auf. Für die Mutter des Toten eine ungeheure Belastung.

Das Rätsel um den gewaltsamen Tod des Hells Angels Rocker Kai Mlodecki ist auch nach drei Jahren weiter ungeklärt. „Das Verfahren ruht im Moment“, sagt der zuständige Duisburger Staatsanwalt Garip Günes-Böhm, „wir kommen da derzeit nicht weiter. Aber wir haben alles gemacht, was möglich war.“ Monatelange „umfangreiche Ermittlungen“ hätten keine hinreichenden Hinweise auf einen oder mehrere Verdächtige gebracht, die für die Tat verantwortlich sein könnten. Auch die Aussetzung einer Belohnung für Hinweise in Höhe von 2000 Euro half der Staatsanwaltschaft nicht.

Der damals 32-Jährige Kai M. ist vermutlich Ende Januar oder Anfang Februar 2014 getötet worden. Ein Angler hatte Anfang Februar einen Arm aus dem Rhein bei Duisburg-Ehingen gezogen, der nach Laboruntersuchungen dem Getöteten zugeordnet werden konnte. Zwei Monate später wurde dann noch der Torso des Toten aus einem Hafenbecken bei Duisburg-Homberg geborgen. Die übrigen Teile des Körpers sind bis heute verschwunden.

Auswertung der Handy-Daten ohne konkrete Ergebnisse
Inzwischen ist auch eine letzte Fährte der Ermittler in einer Sackgasse geendet. Im vergangenen Sommer hatten Spezialeinsatzkräfte die Wohnung des Hells Angels MC MG City Präsident Ramin Yektaparast in Mönchengladbach gestürmt, der schon einmal ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten war. Dabei war auch ein Handy beschlagnahmt worden. Dessen Daten sind inzwischen ausgewertet. Fazit laut Günes-Böhm: „Wir haben nichts Belastendes gefunden. Alles negativ.“ Der Staatsanwalt stellt aber auch klar: „Sobald neue Hinweise oder Ermittlungsansätze vorliegen, werden wir weitermachen.“

Offen bleibt zwangsläufig auch die Frage nach dem Motiv. Vermutungen, der Rocker habe von den Hells Angels zu Bandidos überlaufen wollen und sei dafür bestraft worden, wird allerdings aus dem Umfeld des Opfers widersprochen. Kai M., so schildert es die Mutter, habe aus dem Milieu – er arbeitete zum Zeitpunkt seines Todes im Rotlichtviertel in Oberhausen – aussteigen wollen. Seine Freundin habe ihn damals vor die Wahl gestellt und mit Trennung gedroht. Wie gefährlich es in der Szene zugehen konnte, sei dem Paar spätestens im November 2013 klar gewesen, als Rocker eine Schießerei an der Aral-Tankstelle an der Bebelstraße verwickelt waren. Am letzten Weihnachtsfest vor seinem Tod habe ihr Sohn dann den Entschluss zum Ausstieg gefasst, erzählt die Mutter. Das Paar habe sich daraufhin versöhnt. Allerdings tauchte der Sohn Anfang Januar unter. Anlass war offenbar, dass er mit einem – laut Aussage der Mutter unbegründeten – Haftbefehl gesucht worden ist.

Aufklärungsquote von nahezu 100 Prozent
Weil die genauen Tatumstände bis heute nicht geklärt sind, bleibt auch die rechtliche Bewertung dieses Tötungsdelikts offen. Hätte es sich bei der Tat um einen Totschlag gehandelt, wäre der Tatvorwurf innerhalb von 20 Jahren verjährt. Wäre es ein Mord gewesen, könnten die Ermittlungen auch noch in 40 Jahren wieder aufgenommen werden. Dieser Vorwurf verjährt nicht. „Wir haben bei Mord und Totschlag eine Aufklärungsquote von nahezu 100 Prozent“, betont Staatsanwalt Günes-Böhm, „vielleicht klären wir diesen Fall auch noch.“

Die Mutter des Toten wartet seit drei Jahren auf Antworten
Mit das Schlimmste sind die Fragen, die die Mutter quälen: Wer hat meinem Sohn das Leben genommen? Warum musste Kai M. sterben? Wo ist es geschehen? Wann? Wie? Seit drei Jahren wartet die Mutter auf Antworten. Seit drei Jahren vergebens. „Das Schrecklichste, was einem passieren kann, ist das eigene Kind zu verlieren“, sagt Frau M., deren Sohn in den Medien als „der tote Rocker aus dem Rhein“ bekannt worden ist. Der nicht einfach verstorben ist, sondern gewaltsam getötet worden ist – zumindest soviel ist gewiss. Dem schließlich postmortal Kopf und Gliedmaßen abgetrennt worden sind. Von dem der rechte Arm und der Torso das einzige sind, was jemals wieder aufgetaucht ist. Drei Jahre nach dem Verschwinden ihres Sohnes ist Frau M. bereit, darüber zu sprechen. Weil sie sich und anderen Mut machen will. Weil sie zeigen will, welche Belastungen eine solche Tat für die Angehörigen des Opfers mit sich bringt. Weil kein Tag vergeht, an dem sie nicht daran denkt. An ihren Sohn. An die Tat.

Frau M. mag das Foto ihres Sohnes nicht, mit dem die Polizei nach dem Auffinden der Leichenteile nach Hinweisen auf den oder die Täter suchte. Ein bulliger Kopf, Bart, Irokesenschnitt, grimmiger Blick. Auf den Fotos, die die Mutter in ihrem Handy hat und die sie immer wieder anschaut, sieht er anders aus. Kräftig, aber fast immer lächelnd, freundlich: „Das war so ein lustiger Mensch, der hat mich immer zum Lachen gebracht“, sagt die Mutter. Und weiter: „Der war so sozial, der hat sich immer für andere eingesetzt, schon in der Schule.“ Sie sagt aber auch: „Der hat immer sein Ding gemacht.“

Als Chauffeur und Beschützer auf der Flaßhofstraße
Als Kai M. starb, war er seit sieben Monaten bei den Hells Angels, erzählt die Mutter. Ihr Sohn arbeitete als „Chauffeur und Beschützer“ der Prostituierten an der Flaßhofstraße im Oberhausener Rotlichtviertel. Frau M. erinnert sich noch gut an einen Dialog am Frühstückstisch mit ihrem Sohn, als sie erstmals vom Kontakt zu der Rockergruppierung hörte: „Sag mal, Kai, bist du bei den No Angels?“ – „Er hat gelacht und dann gesagt: Mama, das heißt Hells Angels.“ Noch heute fragt sich die Mutter, was ihren Sohn in dem Milieu suchte: „Ich weiß nicht, was den geritten hat, vielleicht das schnelle Geld.“ Möglicherweise ist er an die falschen Leute geraten. Die Polizei wird der Frau M. nach dem Tod des Sohnes sagen, der habe in diese Kreise nicht gepasst.

Es sind immer wieder auch Vorwürfe, die die 58-Jährige sich selbst macht: Hätte ich strenger sein sollen, fragt sie sich. Der Sohn ist in Hamborn aufgewachsen und in Moers groß geworden. Nach der Schule schließt Kai eine kaufmännische Ausbildung ab. Schon morgens trainiert er seinen Körper bereits als Jugendlicher. Er lässt sich die ersten Tattoos stechen. Knüpft erste Kontakte in die Türsteher-Szene. „Kai, es gefällt mir nicht, wie du dich veränderst“, sagt die Mutter, „so kannst du nie mehr in einem Büro arbeiten.“ Mit Anfang 20 zieht der Sohn von Zuhause aus und arbeitet etwa am Delta Musik Park an der Tür. In der Küche der elterlichen Wohnung in einem gepflegten Mehrfamilienhaus am Rand von Moers hängt eine Karte für die Mutter. Unterschrieben hat sie Kai mit „Dein Sorgenkind“.

Als er das letzte Mal anruft, ist Frau M. mit den Hunden raus
Die Chronik des Verschwindens ihres Sohnes ist bei der Mutter auch nach drei Jahren so präsent, als wäre es gestern gewesen. Am 5. Januar 2014 sieht sie ihren Sohn zum letzten Mal, ohne es ahnen zu können. „Ich konnte keinen Abschied von ihm nehmen.“ Als er sich zwei Tage später ein letztes Mal telefonisch meldet, ist die Mutter gerade mit seinen Hunden raus, auf die sie aufpasst. Ihr Mann hebt ab: „Bestell der Mama liebe Grüße, die soll sich keine Sorgen machen“, sagt Kai in den Hörer. „Ich bereue, dass ich nicht da war“, sagt die Mutter heute.

Kai ist abgetaucht. Er hat einen Tipp bekommen, dass gegen ihn, der noch unter Bewährungsauflagen steht, ein Haftbefehl wegen Räuberische Erpressung vorliegt. Eine Verwechslung? Später sei sie von der Polizei informiert worden, dass die Tat, um die es ging, nicht von ihrem Sohn, sondern von jemand anders begangen worden sein soll, erzählt die Mutter.

Als ein Angler am 4. Februar 2014 einen tätowierten Arm aus dem Rhein zieht, bekommt die Mutter davon zunächst nichts mit. Am Tag darauf kommen Kais Freundin und deren Mutter aufgelöst vorbei. Sie haben auf Umwegen schon erfahren, wem das Körperteil gehört. Weitere Familienmitglieder kommen, um Beistand zu leisten. Frau M. weiß nicht, was sie machen soll und ruft selbst bei der Polizei an: „Mein Sohn ist tot“, sagt sie, „ich will den sehen.“ Eine Streife rückt aus. Ein Rückruf bei der Leitstelle – und dann bestätigt der Polizist vor dem Haus: „Ja, das stimmt, der ist tot, sein Arm wurde gefunden.“ Manchmal fragt sich die Mutter, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn Kai einfach für immer verschwunden geblieben wäre.

Gutschein vom Weißen Ring für anwaltliche Beratung
Als im April auch der Torso gefunden wird, ist es der nächste Schock. Bei der Trauerfeier nach Abschluss der polizeilichen Untersuchungen liegt alles, was von dem Sohn gefunden worden ist, in dem Sarg. „Ich hoffe noch, ich bekomme meinen ganzen Jungen wieder“, sagt die Mutter.

In ihrem Job als Bäckereifachverkäuferin kann die 58-Jährige nicht mehr arbeiten. Sie hat schon ihre Mutter bis zu deren Tod gepflegt und nun auch ihr Kind verloren. Eine Kur hat sie nach dem Tod des Sohnes gemacht, psychologische Betreuung nimmt sie nicht mehr in Anspruch. Nach der Todesnachricht gab es einen Gutschein vom Weißen Ring für eine anwaltliche Beratung. Und dort dann den Tipp, das Erbe auszuschlagen. Kai hatte Schulden. Es sind ihr Mann, die Verwandten, die Freunde, die Bekannten, die Trost spenden. Aber auch für die sei es nicht immer leicht, mit der Situation umzugehen: „Abschließen kann man damit nie.“ „Ich hatte Phasen, da habe ich nur im Bett gelegen“, erzählt die Mutter, „heute bin ich manchmal stark und manchmal ängstlich.“

Ein letzter gemeinsamer Urlaub in der Toskana
Was bleibt, sind die Erinnerungen: An den letzten gemeinsamen Urlaub mit Kai, seiner Freundin, ihrem Mann und den beiden Hunden im September vor dem Tod des Sohnes in der Toskana. An den letzten Jahreswechsel im trauten Kreis. Als der Sohn und seine Freundin bis in den Neujahrsmorgen in Moers bleiben und die Mutter sich schon fragt, wann das Paar denn endlich geht. An das letzte Mal Weihnachten, als sich Kai entschlossen haben soll, auf den Druck seiner Freundin hin aus dem Milieu auszusteigen. Seit zweieinhalb Jahren waren die beiden ein Paar, lebten in einer gemeinsamen Wohnung im Duisburger Norden.

Es gibt eine kleine Gedenkstelle am Ufer in Homberg, wo der Torso aus dem Wasser geholt worden ist. Schon viermal haben unbekannte Vandalen dort gewütet, erzählt die Mutter fassungslos.

Trotzdem zieht es sie immer wieder dort hin. Mit den Hunden (“die sind der Nachlass von Kai“) spaziert sie auch regelmäßig am Rhein entlang. Sie hat einmal einen Knochen gefunden und zur Polizei gebracht. Der stamme nicht von einem Menschen, wurde ihr erzählt. „Ich suche ihn immer noch“, sagt die Mutter über den Sohn, „ich habe nichts mehr zu verlieren. Mir hat man alles genommen.“ Dann greift sie erneut zum Taschentuch und trocknet die Tränen, die ihr jetzt wieder über die Wangen rinnen. Was bleibt, sind die Fragen.


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