Bandidos Präsident war V-Mann

Er war eine der schillerndsten Figuren der Rockerszene in Schleswig-Holstein, Präsident der Bandidos Neumünster in Zeiten, als zwischen ihnen und den Hells Angels ein Rockerkrieg tobte. Gleichzeitig soll Ralf B. auch Informant des Landeskriminalamt Schleswig-Holstein gewesen sein, ein sogenannter V-Mann. „In gewissem Sinne wie so eine Art Doppelagent. So dass man natürlich nicht weiß: Welche Loyalitäten sind jetzt stärker – führt er jetzt das LKA an der Nase herum, oder die eigene Organisation oder vielleicht beide? Gewisse Vorteile verspricht sich die V-Person ja daraus“, sagt Kriminologe Stefan Harrendorf von der Uni Greifswald.

Auch in SH werden Vertrauenspersonen eingesetzt
Vertrauenspersonen in extremistischen Vereinigungen oder auch Rockerclubs sind für die Ermittlungsbehörden nach deren Aussage sehr wichtig. Sie arbeiten zum Beispiel für das Landeskriminalamt und liefern aus ihrem Milieu Informationen, an die die Behörden sonst nicht gekommen wären. Ihre Identität bleibt dabei geheim. Für die Behörden gelten Regeln, wie sie mit den zwielichtigen Informanten umzugehen haben. Doch bei Ermittlungen im Rockerumfeld wurde eine Vertrauensperson nicht so eingesetzt, wie es die Richtlinien eigentlich vorsehen. Nach Recherchen des NDR Schleswig-Holstein hätte Ralf B. genau genommen gar nicht Vertrauensperson werden dürfen.

Richtlinie des Ministeriums
So heißt es in einer Richtlinie des Landes, dass Vertrauenspersonen in Ermittlungen nur eingesetzt werden dürfen, wenn „die Aufklärung sonst aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre“. Bandidos Chef Ralf B. hatte den Behörden rund um eine Messerstecherei im Jahre 2010 zwischen zwei verfeindeten Rockerclubs im Schnellrestaurant „Subway“ in Neumünster, einen Hinweis gegeben, der zwei seiner Clubmitglieder entlastete. Aufgrund der Loyalität innerhalb von Rockerclubs zunächst erst einmal eine inhaltlich wenig überraschende Aussage und kein Grund, ihm die Vertraulichkeitszusage zu geben.

Dennoch bekam er sie. So geht es aus einer Aussage hervor, die sein damaliger V-Mann-Führer des LKA im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss getroffen hatte. Die Aussage fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, liegt dem NDR Schleswig-Holstein aber mittlerweile vor. Die Begründung für die Vertraulichkeitszusage lautet demnach wörtlich: „Es ging lediglich darum, die Identität der Person im ‚Subway‘-Verfahren zu schützen“, ihn also vor einer Aussage im Prozess oder vor der Preisgabe seines Namens zu bewahren.

Verstoß gegen eigene Regeln
Für den Kriminologen Stefan Harrendorf ein rechtlich höchst fragwürdiges Vorgehen. „Das hat etwas Beliebiges. Ich will nicht so gern, dass der Zeuge eine Aussage vor Gericht abgibt. Und deswegen ernenne ich ihn zur Vertrauensperson? Das ist problematisch“, sagt Harrendorf. Er beschäftigt sich wissenschaftlich mit der Arbeit von Ermittlungsbehörden. „Die Behörden steuern mit diesem Vorgehen den Ablauf des Verfahrens und der Hauptverhandlung. Das geht so nicht“, meint der Kriminologe. Das LKA in Schleswig-Holstein habe so gegen die eigene Richtlinie verstoßen.

Dolgner: Gesetzliche Grundlage für V-Mann-Einsatz vonnöten
Der SPD-Obmann im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, Kai Dolgner, sagt: „Hier ging es einzig darum, den Hinweisgeber den Auftritt vor Gericht zu ersparen.“ Hier sei der Gesetzgeber gefordert, „den Einsatz von V-Personen auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen.“ Das könnte eine Empfehlung des Ausschusses im Abschlussbericht sein.

LKA schweigt zu Vorwürfen
Der heutige Leiter des Landeskriminalamtes, Thomas Bauchrowitz, wollte zu den Vorwürfen, das LKA habe gegen die Richtlinie verstoßen, NDR Schleswig-Holstein nichts sagen. Die Behörde äußere sich „grundsätzlich nicht zu vermeintlichen Vertrauenspersonen oder Führung“, teilte eine Sprecherin mit. So bleiben Fragen offen. Auch die, welche Rolle Ralf B. beim Verbotsverfahren der Bandidos Neumünster gespielt hat. Die Vereinigung wurde durch das Innenministerium im April 2010 verboten. Da stand Ralf B. an der Spitze der Organisation und das führte zu einer kuriosen Situation.

So wurden durch das Oberverwaltungsgericht für das Verbot der Gruppierung nur Straftaten der Gruppe angeführt, die unter dem Präsidenten Ralf B. verübt wurden – also mindestens mit Billigung des Mannes, der auch noch im Auftrag des Staates arbeitet. Wenn V-Person „der maßgebliche Initiator von strafrechtlichen Verfehlungen ist, dann hätte im Grunde der Staat selbst mit dieser V-Person ein Instrumentarium in der Hand, um unliebsame Vereine zu verbieten“, sagt Verwaltungsrechtler Jürgen Punke. „Das hat natürlich immer ein Geschmäckle.“

Polizei: „Keine Aufträge an V-Person“
Zwar sagte der damals für Ralf B. zuständige LKA-Beamte im Untersuchungsausschuss aus: „Es wurden zu keinem Zeitpunkt Aufträge an diese Person erteilt. Die Person wurde nicht – nie – polizeilich gesteuert.“ Ein Rest Zweifel bleibt aber dennoch, denn Ralf B. war nachweislich bei mindestens einer Gewalttat der „Bandidos“ in der Rocker-Telefonkette und damit sehr wahrscheinlich im Bilde. Das steht in einer Ermittlungsakte, die dem NDR Schleswig-Holstein vorliegt.

Staat versus Staat
Was noch kurioser ist: Bei den Verhandlungen über das Verbot der „Bandidos“ Neumünster saß der mögliche V-Mann den Richtern gegenüber und sollte eigentlich seinen Rockerclub vertreten – arbeitete aber zeitgleich für den Staat. Wenig überraschend zog Ralf B. den Einspruch gegen das Verbot zurück und die Bandidos blieben verboten. Eine Doppelrolle, die Strafrechtsexperte Harrendorf kritisiert. Bis 2013 arbeitete Ralf B. für das Landeskriminalamt und wurde, unter Protest der zuständigen Abteilung, durch den LKA-Chef „abgeschaltet“, wie es im Polizeisprech heißt.

Seitdem gilt Ralf B. als abgetaucht, für den NDR Schleswig-Holstein war er nicht zu erreichen.


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