Ermittler gelingt Schlag gegen Bandidos

Lange Zeit suchten die Ermittler in Köln und Hagen nach den Drahtziehern des blutigen Rockerkrieg unter den kriminellen Rocker in NRW. Dabei klärten sie auf, wer hinter Attentaten in Köln und anderswo steckte, wer die ausführenden Soldaten waren und wer die Attacken steuerte. Etliche Anklagen wurden erhoben – so auch gegen den mutmaßlichen Europaboss des Bandidos MC.

Die Schüsse fielen gegen halb elf Uhr am Freitagabend: Das gute Dutzend Gäste des Cafés „Joker’s“ in Köln-Buchheim warf sich auf den Boden, als die Projektile in Kopf- und Bauchhöhe durch die Tür einschlugen. Manche Besucher verschanzten sich hinter Tischen, um der Salve aus einer Ceska-Maschinenpistole Modell Skorpion 61 zu entgehen. Binnen weniger Sekunden endete die Attacke.

Einem Wunder gleich wurde niemand verletzt, die Täter entkamen zunächst unerkannt.
Bei den Schüssen auf das „Joker’s“, einem Kölner Hells Angels Treff , ging die Polizei von einer Racheaktion im Rockermilieu aus. Nur Stunden zuvor hatte ein führender Höllenengel den Chef der Kölner Bandidos an jenem 4. Januar 2019 mitten in der City zu einer Schießerei herausgefordert. Es war einer der Höhepunkte einer länger schwelenden Fehde zwischen beiden Seiten.

Egal, was in Köln passiert ist, egal, was ihr wisst: Keiner darf ein Wort sagen“

Etliche Monate sollten vergehen, ehe abgehörte Telefonate auf die Spur des mutmaßlichen Schützen und seiner drei Komplizen führten. So wurden die Ermittler Zeuge, wie einer der Verdächtigen einen Kombattanten warnte: „Egal, was in Köln passiert ist, egal, was ihr wisst: Keiner darf ein Wort sagen.“ Nach Informationen hat die Staatsanwaltschaft Hagen die vier Mitglieder der Bandidos Hagen vor zwei Wochen wegen der Vergeltungsaktion angeklagt. Wie ein Sprecher des Landgerichts Hagen mitteilte, geht es um versuchten Mord und Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz.

Der mutmaßliche Joker’s-Schütze Felat G., 22, Mitglied der Bandidos Leverkusen, sitzt bereits wegen eines anderen Mord-Verfahrens in Untersuchungshaft.

Die restlichen Angeklagten gehören offenbar zu einer Truppe, die während der Revierkämpfe im Kölner und Hagener Raum Protagonisten verfeindeter Rocker-Gruppen angreifen sollten. Ende Juni erst wurden die drei Gangster wegen einer tödlichen Messerattacke auf eine Milieugröße der gegnerischen Freeway Riders zu hohen Haftstrafen verurteilt.

Mein Mandant ist gerade erst durch das Essener Schwurgericht zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt worden“, erklärt Strafverteidiger Burkhard Benecken zu den aktuellen Vorwürfen, „dazu ist ihm die Möglichkeit einer Drogentherapie eingeräumt worden. Ich hoffe, dass das neue Verfahren in Hagen schnell abgeschlossen werden kann, damit der Klient mit der dringend erforderlichen Therapie beginnen kann.“

Einblicke in die Führung der mächtigen Rocker
Die Anklage zum Angriff auf das „Joker’s“ gewährt brisante Einblicke in die Führungsstrukturen der mit etwa 800 Mitgliedern wohl mächtigsten Outlaw Motorcycle Gang in NRW. Seit Jahren suchen die Bandidos ihre Macht mit Gewalt massiv auszudehnen.

In Köln geht es gegen die Hells Angels, in der südwestfälischen Region Hagen gegen die Freeway Rider, auch in anderen Städten ereigneten sich insbesondere seit 2017 Jahren Auseinandersetzungen mit lokalen Gangs. Schießereien, Auftragsmorde, Geiselnahmen, Überfälle, Massenschlägereien, Waffendiebstähle – die Liste der Straftaten ist lang. Inzwischen stellen die Ermittler für Organisierte Kriminalität (OK) bei den Bandenkriegen in Köln und Hagen massive Überschneidungen fest.

Den Erkenntnissen zufolge soll eine europaweit operierende Kommandoebene der Bandidos die Anschläge und Angriffe in beiden Regionen gesteuert haben. In dem Gremium namens „Federation West Central“ geben so genannte „Bandidos Nationals“ den Ton an. Sie lenken der Justiz zufolge „die landesweiten Konflikte des Bandidos MC“. Laut dem Hagener Oberstaatsanwalt Gerhard Pauli „reicht ihre Zuständigkeit von Belgien, den Niederlanden über Deutschland bis nach Ungarn“.
Auch die Rocker-Bosse werden angeklagt.

Die Strafverfolger haben gegen fünf Rockerbosse aus dem Bandidos Gremium ebenfalls Anklage erhoben. Die Vorwürfe beziehen sich auf die Bildung einer kriminellen Vereinigung, versuchten Mordes in mehreren Fällen, Waffendelikten und gefährlicher Körperverletzung, berichtete ein Gerichtssprecher in Hagen.

Da ist Selahattin Eren. Als Sargento de Armas (Security-Chef und Waffenmeister) soll er etwa das Attentat auf der Kölner Zoobrücke im Dezember 2018 befohlen haben. Aus einem fahrenden Auto feuerten zwei Kölner Bandidos auf ein entgegenkommendes Fahrzeug eines Hells Angels. Der Anschlag schlug fehl. Am Steuer des Rockerfahrzeugs saß ein unbescholtener 21-jähriger Schüler, der schwerverletzt überlebte. Die Schützen wurden bisher nicht gefunden.

Belauschte Telefonate und entschlüsselte Chats führten auf die Spur des mutmaßlichen Drahtziehers. Der Bandidos Chef, den seine „Soldaten“ ehrfürchtig „den Paten“ nannten, soll laut Anklage auch die Schüsse auf das Hells-Angels-Cafe „Joker’s“ angeordnet haben. Als der Anschlag ohne Verletzte oder Tote blieb, soll Selahettin E. einen der Attentäter wegen des Fehlschlags zusammengestaucht haben: „Alter, fünf Meter davor und ihr kriegt nichts auf die Reihe.“ Ein Bandidos Aussteiger berichtete den Ermittlern zudem, dass Selahettin E. etliche Tötungsdelikte in Auftrag gegeben habe.

2010 schloss mächtiger Bandido noch Frieden mit Hanebuth.
Der Bandido-Anführer managte offenbar die Revierkämpfe. So verschob Eren Personal von der Ruhr an den Rhein, um „Köln“ im Kampf gegen die Höllenengel „stabil“ zu machen. Er sorgte laut den Anklägern für Disziplin in den Bandidos Reihen und ließ neue Bandidos Chapter gründen, wenn den alten Chaptern ein Vereinsverbot drohte.

Zu den Angeklagten der Bandidos Kommandoebene gehören laut Anklage auch so illustre Figuren wie Peter Maczollek. Unvergessen wie der Bandidos Vice President Europe vor gut zehn Jahren in einer inszenierten Veranstaltung mit Hells Angels Boss Frank Hanebuth vor laufenden Kameras Frieden schloss. Der Pakt hielt nicht lange. Nun soll sich der 56-jährige gebürtige Gelsenkirchner als einer der Initiatoren einer kriminellen Vereinigung vor Gericht verantworten. Bei einer Hausdurchsuchung fanden sich laut einem Gerichtsprecher eine Pistole Marke Walther mit zehn Schuss Munition.

Zudem soll Maczollek etwa über den Anschlag auf das Joker’s informiert gewesen sein, weil er bei einem großen Bandidos Treffen in Ulm dem Schützen ein gelbes Patch verliehen haben soll. Das Abzeichen „Expect no mercy“ darf nur ein Vollmitglied tragen, das schon eine schweres Verbrechen begangen hat.

Maczollek schrieb Buch: „Wie wir die Bandidos in Deutschland gründeten“
Maczollek hat es bereits zu einem eigenen Wikipedia-Eintrag geschafft. Mit seinem Kumpel Leslav Hause, seines Zeichens Vizepräsident der West-Central-Führungsriege, hat er ein Buch geschrieben.

Ziemlich böse Freunde. Wie wir die Bandidos in Deutschland gründeten.“ Auf dem Cover posieren die beiden Anführer in ihren Kutten, die Arme großflächig tätowiert, als Best Buddys. Geht es nach der Staatsanwaltschaft soll auch Maczolleks Mitautor auf die Anklagebank.

So soll Leslav Hause in eine dubiosen Waffenklau verstrickt sein. Laut Anklage soll er mit einem Komplizen von einem Mitarbeiter einer Sportwaffenfirma Umarex im sauerländischen Arnsberg gestohlene 16 Pistolen angekauft und sie unter den Bandido-Chaptern verteilt haben.

Szene von Ermittlern „beeindruckt“
Durch die Ermittlungsoffensive seit dem vergangenen Jahr und diversen Anklagen sitzen viele Hauptfiguren derzeit in Untersuchungshaft. Entgegen der zahlreichen Zusammenstöße bis 2019 stellt etwa die Kölner Polizei auf Anfrage derzeit „keine weiteren Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Rockergruppe fest“. Nach Angaben des Leitenden Kriminaldirektors Klaus-Stephan Becker, „hat der massive Kontrolldruck die Szene beeindruckt“.

Andere OK-Experten trauen dem Frieden nicht: „Vermutlich hängt die derzeitige Ruhe auch mit dem anstehenden Urteil beim Bundesverfassungsgericht zusammen“, meint ein hochrangiger Ermittler.

Regionale Rockerguppen hatten vor gut zwei Jahren Beschwerde in Karlsruhe gegen das neue Vereinsgesetz eingelegt. So dürfen die Hells Angels nicht ohne Weiteres mit dem geflügelten Totenkopf auf der Jacke herumlaufen, und den Bandidos ist es untersagt, die Abbildung eines Sombrero tragenden und bewaffneten Mexikaners auf ihren Lederwesten zu zeigen.


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