Aufklärung von Mord an Aygün Mucuk schwierig

 

2016 wurde der Präsident der Hells Angels MC Giessen, Aygün Mucuk, vor dem Vereinsheim in Wißmar ermordet. Die Täter wurden bisher nicht gefasst. Was die polizeiliche Aufklärung erschwert.

Vor fast fünf Jahren verlässt Aygün Mucuk von einem Kamerateam begleitet eine Beerdigung in Berlin. Der Präsident des Hells Angels Charter hat der Beisetzung eines Mitglieds der Guerilla Nation, eine Rockerähnliche Gruppierung, beigewohnt. Der Journalist, der seit Längerem für einen Fernsehbeitrag eng an dem Unangepassten unter den Höllenengeln dran ist, fragt ihn: »Wie wollen Sie mal sterben?« Mucuk macht mit breitem hessischen Akzent einen Scherz. Dann verstummt sein Lachen und er antwortet: »Ich hoffe, ich sterbe gar nicht. So lange nicht jemand auf mich schießt.« 28 Tage später wird der 45 Jahre alte Mucuk vermutlich von zwei Personen vor dem Clubhaus der Hells Angels in Wettenberg-Wißmar ermordet. Von den Tätern fehlt bis heute jede Spur. »Derzeit gibt es keine neuen Ermittlungsansätze«, sagt Staatsanwalt Thomas Hauburger.

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Die Beisetzung von Mucuk am 12. Oktober 2016 gleicht einem »Staatsbegräbnis«, wie ein Schaulustiger sagen wird. Die Polizei sperrt Straßen, Schulen in der Nähe des Friedhofs in der Nordstadt machen früher zu, weil 1200 Trauergäste kommen. Es sind nicht nur Mitglieder des Gießener Charter, sondern auch Rocker aus anderen deutschen Städten, aus Luxemburg, Türkei, Holland, Schweiz oder Belgien. Zu sehen sind neben Harleys auch Nobelautos: Maserati, Mercedes, Porsche. Gäste tragen schwarze Armbinden, auf denen in goldenen Lettern »R.I.P Aygün« steht.

Prof. Britta Bannenberg ist eine renommierte Kriminologin; sie lehrt und forscht an der Justus-Liebig-Universität und beschäftigt sich auch mit Rockerclubs. Das massive Auftreten der Hells Angels sieht sie als Demonstration einer Verbundenheit und einer vermeintlichen Geschlossenheit, auch um sich von der Gesellschaft abzugrenzen. Sie betont jedoch: »Der alte Mythos ›AFFA‹ (Angels Forever Forever Angels), das muss man nicht glauben.«

Präsident der Hells Angels Gießen, Aygün Mucuk: Keine Scheu vor Auseinandersetzung

Mucuk war 30 Jahre im Rotlichtmilieu unterwegs. Auf dem Weg an die Spitze der Hells Angels habe er keine Auseinandersetzung gescheut, heißt es über den vierfachen Familienvater. Das zeigt die Vorgeschichte zu den tödlichen Schüssen: Im Juli 2014 kommt es in Frankfurt zu einer Schießerei unter den Hells Angels. Hintergrund soll ein Streit unter den alteingesessenen Hells Angels Westend Rockern aus Frankfurt um deren Präsident Walter B.(Schnitzel Walter) und den türkisch geprägten Hells Angels unter Aygün Mucuk sein. Die greifen ihre Frankfurter Kollegen beim Verlassen eines Clubs an. Ein Frankfurter Hells Angel schießt und verletzt vier Gießener Hells Angels schwer – auch Mucuk. Den Frankfurtern waren einige Jahre zuvor immer mehr Männer aus Einwandererfamilien beigetreten – rekrutiert wegen des Konflikts mit dem Rockerclub Bandidos. Einer der Neuen war Mucuk, der im November 2014 sein eigenes Charter in Gießen gründet. Der Bruch mit den Frankfurtern ist damit besiegelt, der Streit um lukrative Türsteher-Jobs eröffnet.

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Im März 2016 eskaliert ein Friedensgespräch in einem Hotel am Frankfurter Flughafen, an dem Mucuk teilnimmt. Ein Mitglied der Hells Angels Nomads Turkey, die eine zentrale Rolle bei der Gründung des Gießener Charters spielen, bricht dem Vize Präsident des Frankfurter Charter Westend das Nasenbein. Zwei Monate später kommt es zu einer Schießerei nahe der Frankfurter Hauptwache; sie gilt als Reaktion auf das misslungene Friedenstreffen am Flughafen.

Mord an Hells-Angel-Boss Aygün Mucuk: Staatsanwaltschaft Gießen spricht von zwei Tätern

Am 7. Oktober 2016 wird Mucuk auf dem Gelände des Clubheims in Wißmar zwischen 4 und 5 Uhr mit 17 Schüssen aus einer Entfernung von drei bis fünf Metern niedergestreckt. Im März 2017 bittet Staatsanwalt Hauburger die Bevölkerung in der Fernsehsendung Aktenzeichen XY um Hilfe: Anhand der Patronen und Hülsen vermuten die Ermittler, dass die Schüsse von zwei Tätern mit zwei Waffen abgefeuert wurden. Es soll sich um eine ungebaute Handfeuerwaffe (Kaliber 7,65 Millimeter) sowie eine Maschinenpistole des Herstellers Vugrek handeln. Für Hinweise setzen die Behörden eine Belohnung von 10 000 Euro aus. Mucuks Familie bietet ihrerseits eine Belohnung von 25 000 Euro.

Über das Motiv gibt es neben der Rivalität mit dem Frankfurter Charter weitere Theorien. Es soll innerhalb der Hells Angels kritisch gesehen worden sein, dass Mucuk sich von Journalisten begleiten ließ. In der daraus resultierenden Dokumentation heißt es: »Auch im eigenen Charter sind viele von seinen Alleingängen genervt.« Diskutiert wird auch, inwieweit der Kontakt zwischen Mucuk und der Guerilla Nation Germany ein Motiv gewesen sein könnte. Zwischen den Hells Angels Berlin und der Guerilla Nation Berlin soll es damals zu Problemen gekommen sein.

Zu den sogenannten Outlaw Motorcycle Gangs (OMCG) zählt das Bundeskriminalamt neben den Hells Angels, die Bandidos, den Outlaw MC und den Gremium MC. Bannenberg sagt, diese Gruppen pflegten nach außen das Bild von subkulturellen Motorradfreunden, seien aber in der organisierten Kriminalität aktiv. Hinzu kämen viele Unterstützerclubs, die nicht selten Gewalttaten im Auftrag der OMCGs begingen. Die Mitglieder seien »vielfach in den Deliktsfeldern Drogen- und Waffenhandel sowie Gewaltkriminalität, unter anderem im Zusammenhang mit dem Rotlichtmilieu, auffällig«. Letztlich seien sie dort aktiv, wo Geld zu machen ist: Spielhallen, Wettbüros, Rapperszene, Shisha-Bars, Tattoo-Studios und anderes. »Auch Erpressungen anderer Geschäftsleute stellen ein typisches Vorgehen dar«, sagt Bannenberg.

Was den Ermittlerinnen und Ermittlern die Arbeit schwer macht, sind die Strukturen der OMCGs: Deren Mitglieder agieren in einer streng hierarchischen Männerwelt mit eigenen Regeln. Ihr Verhaltenskodex verbietet es, mit den Ermittlungsbehörden zu kooperieren. Stattdessen, sagt Bannenberg, würden Konflikte selbst gelöst. Auch komme es zu Einschüchterungen und Bedrohungen von Zeugen.

Kriminologin Britta Bannenberg von der Uni Gießen: Szenekenntnisse und Kronzeugen bei Hells-Angels-Ermittlungen wichtig

Den Behörden sind aber nicht die Hände gebunden. Wie Bannenberg sagt, könnten »Strukturermittlungen und eine gute Kenntnis der Szene, der Bedeutung von Schlüsselfiguren, aktuellen Änderungen und Unterstützern sowie die gezielte Beobachtung der Selbstdarstellungen in den sozialen Netzwerken und der nationalen und internationalen Verbindungen« Ansätze bieten. Die nach außen hin bekundete »Brüderlichkeit« und der Schweigekodex könnten aufgebrochen werden, wenn Kronzeugen zu Aussagen bewegt werden.

Ansätze dazu böte die Tatsache, dass es häufiger als gedacht vorkomme, dass Rocker von einem OMCG zum anderen wechselten. Auch die vielen Mitglieder von Unterstützerclubs fühlten sich diesem stärker verpflichtet als dem OMCG. »Das ist eine Chance für Ermittler, weil nicht jeder eine lange Freiheitsstrafe hinnehmen will«, sagt Bannenberg. Die Kriminologin betont, Ermittlungsbehörden benötigten »ausreichend qualifiziertes Personal für die Strafverfolgung in diesem Bereich, der Überschneidungen mit Clans und anderen kriminellen Gruppen zeigt«. Erfolgversprechend seien auch vernetzte Aktionen zwischen Ermittlungsbehörden und Kommunen. »Man muss nicht nur an das Strafrecht denken.«

In Gießen ist es ruhig geworden um die Hells Angels – auf den ersten Blick. Bannenberg betont, dass OMGCs durch die Kuttenverbote zwar nicht sichtbar, aber weiterhin aktiv seien. In Gießen zum Beispiel hat nach dem Tod Mucuks ein neuer Präsident das Zepter der Hells Angels übernommen. »Das Rockermilieu«, sagt die Kriminologin, »ist durch das Auftreten neuer Mitglieder und Unterstützerclubs insbesondere aus Migrantenmilieus in Bewegung.« Sie zitiert den Szenekenner Michael Ahlsdorf, der schreibt, die »alten Herren« fürchteten heute selber die Gewalt der Gangs, aber auch den Verlust der Stellung im Milieu.

Germany - MRB.

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