Seehofer verbietet Bandidos West Central

 

Rocker-Experte Michael Ahlsdorf erklärt, warum er das Verbot der Bandidos West Central heue durch Innenminister Seehofer für kontraproduktiv hält. Er vermutet wahlkampftaktische Gründe, Politikern attestiert er Ahnungslosigkeit. Und er stellt klar, wer in der deutschen Rockerszene heute den Ton angibt.

Michael Ahlsdorf war gerade auf seinem schwarzen Tourer-Motorrad auf der Autobahn unterwegs, als er vom Verbot der Bandidos MC Federation West Central hörte. Der Vorstoß des Bundesinnenministeriums ist bemerkenswert: Erstmals werden nicht nur einzelne Ortsgruppen der Rocker, sondern sogenannte Chapter über Bundesländergrenzen hinweg verboten.

Ahlsdorf hat nicht nur zu den Bandidos Kontakt: Jahrelang leitete er das Magazin Bikers News, das sich als neutraler Vermittler unter den Rockern verstand – vergangenes Jahr aber eingestellt wurde. Der gebürtige Berliner und promovierte Theologe erklärt, warum er das Verbot kritisch sieht.

Frage: Herr Ahlsdorf, Sie haben vom Bandidos Verbot beim Motorradfahren im Radio gehört. Ihre Reaktion?

Ahlsdorf: Ich war überrascht, die Szene war wegen der Pandemie mehr als ein Jahr im Winterschlaf. Ein Stück weit ist das Verbot politischer Aktionismus – denn es passt hervorragend in den aktuellen Wahlkampf.

Frage: Ihrer Ansicht nach ist es kein Zufall, dass das Verbot ausgerechnet jetzt kommt? Das ist ein harter Vorwurf.

Ahlsdorf: Ich will keine Verschwörungstheorie entwickeln, für Zufall halte ich den Zeitpunkt aber nicht. Die Erfahrung rund um das Jahr 2010 zeigt: Immer wieder gab es Verbote einzelner Bandidos Chapter, die genau in die jeweiligen Wahlkampf-Perioden gefallen sind.

Frage: In der Begründung des Innenministeriums ist von „Parallelgesellschaften“ und „rechtsfreien Räume“ die Rede. Stimmen Sie zu?

Ahlsdorf: Diese Textbausteine kenne ich aus vielen behördlichen Mitteilungen zuvor. Die Biker sind sicherlich eine Subkultur, und sie haben auch hierzulande eine jahrzehntelange Tradition. Einerseits schürt das Thema Ängste, andererseits sind viele Deutsche auch fasziniert von den Clubs und ihrer Anziehungskraft. Was die Kriminalität betrifft: Ich wäre da vorsichtig, alle Rocker über einen Kamm zu scheren.

Frage: Bei den jüngsten Razzien wurden Drogen und Waffen sichergestellt.

Ahlsdorf: Ja, die gibt es, wenn auch nicht in den suggerierten Dimensionen ganzer Waffenarsenale. Rocker sind keine Chorknaben. Es kam in den vergangenen Jahren zu Aktionen, die schlichtweg scheiße waren, um es mal deutlich zu sagen. Die Polizei hat dann einen guten Job gemacht. Auch wir von „Bikers News“ waren den Behörden manchmal dankbar, wenn sie den Daumen draufgelegt haben – sonst wäre es wohl schlimmer geworden.

Frage: Ist das Verbot also gerechtfertigt – mit der Begründung, die Bandidos seien eine kriminelle Vereinigung?

Ahlsdorf: Nein. Das Verbot erfolgt auf Grundlage des Vereinsrechts, und es ist klar: Es gibt Chapter, die gefährlicher sind als andere, deshalb gab es in der Vergangenheit immer nur lokale Verbote einzelner Gruppen. Dass so viele verschiedenste Chapter allesamt kriminell sind, möchte ich jedoch infrage stellen. Das ganzheitliche Verbot von Chapter in mehreren Bundesländern ist mithin ein Novum.

Frage: Wie hart wird die Szene dadurch getroffen?

Ahlsdorf: Die Gruppen und Strukturen werden weiter bestehen, auch wenn sie auf dem Papier verboten sind.

Frage: Was macht Sie da so sicher?

Ahlsdorf: 2017 war ich im Innenausschuss des Bundestags als Szenekenner eingeladen. Schon damals habe ich gesagt: Durch Verbote werden Biker weiter in den Untergrund gedrängt. Für die Polizei macht es das allerdings noch schwieriger, weil vieles dann im Verborgenen abläuft.

Für die Bandidos ist es jedenfalls eine schmerzhafte Angelegenheit, da wird jedes einzelne Mitglied ziemlich bluten müssen. Mit dem Verbot wird schließlich das komplette Vereinsvermögen eingezogen, die Clubhäuser müssen dichtmachen, und die Motorräder werden erst einmal beschlagnahmt. Dass die Bandidos nun aber komplett verschwinden, ist eine Milchmädchenrechnung.

Frage: Waren Sie eigentlich jemals Mitglied eines Chapters?

Ahlsdorf: Nein. Umso härter war es, über die Jahre Vertrauen zu gewinnen. Mitglied war ich nirgends, das hätte zu Konflikten geführt. Der Besitzer des Verlages unserer Bikers News war allerdings mal Mitglied des Bones MC, der bis 1999 existierte – was unserem Chef ständig Ärger eingebracht hat. Wir als Magazin standen aber im Ruf der Neutralität unter allen Clubs.

Frage: Sie kritisieren, Politiker träfen beim Thema Rocker Entscheidungen, ohne sich wirklich damit zu befassen.

Ahlsdorf: Ich habe es 2017 im Bundestag selbst gesehen: Bei den Politikern, die sprachen, als es um das Abzeichen-Verbot für Motorradclubs ging, sah das so aus: Google öffnen und „Rocker“ eingeben. Das waren die Quellen für die Reden und die Abstimmung. Ein CDU-Abgeordneter sprach sogar von der fiktiven US-Serie „Sons of Anarchy“.

Damals war Thema, dass Rocker keine Embleme ihrer Clubs mehr tragen dürfen, durchgesetzt wurde auch das sogenannte Kuttenverbot. Und nach und nach wurden einzelne Gruppen dichtgemacht.

Frage: Wie nachhaltig war diese Politik?

Ahlsdorf: Die Verbote der Ortsgruppen haben jedenfalls wenig gebracht, da wurden die Behörden regelrecht an der Nase herumgeführt. Die Rocker waren nämlich immer noch da. Teilweise gab es Neugründungen unter anderem Namen – ein ziemliches Katz-und-Maus-Spiel.

Frage: Was halten Sie eigentlich vom Begriff Rocker?

Ahlsdorf: Einige mögen ihn, andere nicht. Das Wort hat sich jedenfalls etabliert. Allerdings nur im Deutschen – in den USA etwa sagt das kein Mensch.

Frage: Klassische Biker-Rockmusik à la ZZ Top dürften in den Chapter heute nur noch die wenigsten hören.

Ahlsdorf: Eher nicht (lacht). Ein paar grauhaarige Altrocker vielleicht noch.

Frage: Ihnen ist die Anspielung nicht entgangen. Die Szene in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren ziemlich gewandelt.

Ahlsdorf: Da treffen Sie einen Nerv. Die Clubs haben ab circa 2000 stark aufgerüstet, indem sie viele junge Migranten-Gangs aufgenommen haben. Im Grund genommen, ging es dabei ums Überleben: Denn zu diesem Zeitpunkt war die Szene im Begriff zu vergreisen.

Frage: Die Zeiten von Rockern wie dem Frankfurter Hells Angel Schnitzel Walter und Co.  scheinen vorbei.

Ahlsdorf: Für den Boulevard war eine Gestalt wie Schnitzel Walter natürlich der Fürst der Finsternis und immer ein willkommenes Thema. Es stimmt, diese Zeiten sind ein Stück weit vorbei – was aber nicht heißt, dass die Altrocker weg sind. Man erkennt sie wegen der Verbote in der Öffentlichkeit nur nicht mehr so eindeutig. Es gab aber schon früher eine kriminelle Hochzeit in der Szene, in den 70er- und 80er-Jahren. Viele Rocker saßen wegen Zuhälterei und Drogenhandel im Gefängnis. Diejenigen, die damals einen auf dicke Hose gemacht haben, sind größtenteils aufgeflogen. Heute leben viele ein bürgerliches Leben und haben ganz normale Berufe.

Frage: Heute ist oft vom Rockerkrieg zwischen den Gruppen zu lesen. Trifft das Ihrer Ansicht nach zu?

Ahlsdorf: Der Konflikt eskalierte 1999, als Bandidos MC und Hells Angels MC in Deutschland expandierten. Es gab sehr heiße Pflaster in einigen Städten, da konnte man schon von Rockerkrieg sprechen, zumindest regional. Die gleichen Clubs haben sich in anderen Regionen still verhalten und sind sich aus dem Weg gegangen. Aber Zustände wie in Skandinavien, wo Biker mit Panzerfäusten auf Clubhäuser schossen und ganze Wohnblocks brannten – das gab es in Deutschland nie.

Frage: Heute, so sagen die Behörden, dominieren viele migrantische Clubs die Szene, beispielsweise die türkisch-nationalistischen Osmanen Germania.

Ahlsdorf: Die Osmanen sind doch auch längst verboten. Und deren ehemalige Member reden nun wirklich nicht mehr mit, dafür waren sie nicht lang genug dabei. Diejenigen, die die Szene prägen, sind nach wie vor die altgedienten Rocker. Je länger jemand dabei ist, desto größer der Ruf. Das kann man nicht dadurch aufholen, indem man ein Heißsporn ist oder besonders kräftig zuschlagen kann. Klar jedoch ist: Es gibt einen harten Generationenkonflikt.

Frage: Einige kurdisch oder türkisch geprägte Clubs mischen in der Hip-Hop-Szene mit, wo Millionen locken.

Ahlsdorf: An der Branche wollen viel Geld verdienen. Viele übernehmen dann beispielsweise die Security.

Frage: Es geht ja sicherlich nicht nur um Security.

Ahlsdorf: Klar, es gibt da fragwürdige Verstrickungen. Einen gewissen Ruf spielt man in der Szene natürlich aus. Das zeigt sich beispielsweise auch in manchen Bordellen: Dass der Geschäftsführer dort Anführer eines Bandidos Chapter ist, ist selten Zufall. Dennoch: der größte Teil der organisierten Kriminalität läuft in Deutschland sicherlich nicht in der Rockerszene ab.

Frage: Sondern?

Ahlsdorf: Jeder Polizist ist lieber im Rocker-Milieu unterwegs als bei osteuropäischen Gangs oder in der Clan-Kriminalität. Wir sprechen dann von einer anderen Dimension der Bandenkriminalität: Da verstehen die Behörden die Sprache nicht, diese Gruppen sind für sie unberechenbar.

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